Der Freizeitgolfer

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Harry Schlepegrell: Das Golfspiel, Verlag Grethlein & Co, Leipzig 1923

Titelbild mit historischem Golfspieler

Die (Reichs-)Kanzler hießen Wilhelm Cuno und Gustav Stresemann, Deutschland litt unter einer seit vier Jahren andauernden Wirtschaftskrise mit Inflation, auf deren Höhepunkt das Porto für einen Brief 100 Millionen Mark (!) kostete, das Ruhrgebiet wurde wegen ausbleibender Kohlelieferungen an die Siegermächte des Ersten Weltkrieges von französischen Truppen besetzt, der sog. Ruhrkampf begann.  

In dieser Zeit publizierte Dr. Harry Schlepegrell, ein passionierter Golfer und Mitbegründer des Hamburger Golfclubs sowie des Deutschen Golfverbandes das vorliegende Buch. Es mag uns heute überraschen, dass ein Fachbuch über den Golfsport in dieser Zeit erschien. Dieser Situation ist sich auch der Autor bewusst, wenn er die damalige Zeit als einen Augenblick beschreibt, „wo wir für müßigen Zeitvertreib und Spiele scheinbar weder Zeit noch Mittel haben“. Dennoch meint er ein „natürliches Bedürfnis“ nach einer vernünftigen Erholung zu erkennen, die jeder „ernsthaft“ betriebene Sport bietet. (S. 7) Bedenkt man, die Jahre des Krieges und der Einschränkungen, die hinter der Bevölkerung Deutschlands lagen, kann man diesen Wunsch nachvollziehen. So erklärt sich auch die Entscheidung des Verlages Grethlein & Co, dieses Buch als Band 9 der Reihe „Bibliothek für Sport und Spiel“ zu veröffentlichen, in der verschiedene Sportarten von der Leitathletik bis zum Alpinen Sport behandelt wurden.

1895 wurde der erste Golfclub auf deutschem Boden in Berlin gegründet. Über die Anlage weiß Schlepegrell zu berichten: „Es ist ein Neun-Löcher-Platz, in Westend gelegen, sandiger Boden, in ziemlich reizloser Umgebung. Ein großer Vorteil ist der, daß er leicht zu erreichen ist, sonst ist er einer Stadt von der Größe Berlins ziemlich unwürdig“. (S. 13) Auf deutschem Staatsgebiet existierten bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 12 Golfplätze, nach dem Krieg wurden weitere gegründet, allesamt Neunlochanlagen. Der Deutsche Golfverband (DGV) war bereits 1907 aus der Wiege gehoben worden und regelte den organisatorischen Ablauf des Spielbetriebs sowie die Aufstellung eines ersten Regelwerkes. Diese und weitere Geschichten aus der Frühzeit des nationalen Golfsports liefert Schlepegrell in seinem einführenden Kapitel „Geschichtliches“.

Es folgt ein Abschnitt über die Neuanlage und den Aufbau von Golfplätzen, indem der Autor anhand des damaligen Kurses des Hamburger Golfplatzes (Flottbeck), von dem eine schematische Zeichnung abgedruckt ist, die Funktionen von Bunkern und Gräben sowie die Tücken von Fairways und Grüns beschreibt. Schmunzeln lässt den modernen Golfer, dass sich auf dem Abschlag einer jeden Bahn eine Kiste mit feuchtem Sand befand („Tee Box“), mit dem der Golfer/die Golferin mit den Händen einen kleinen Hügel formte, auf den er/sie den Ball zum Abschlag „aufteen“ konnte.


Den größten Teil des Buches nehmen die Kapitel zum „Spielgerät“, zur „Spieltechnik“ sowie zu den „verschiedenen Schlägern“ ein. Neben der Entwicklung des Golfballes oder der Materialien der Schläger lernen wir den „Treiber“ (Driver), den „Brassie“ und den „Spoon“ (Hölzer), den „Cleek“ (langes Eisen), den „Mashie“ (etwa Eisen 5) sowie den „Niblick“ (etwa Eisen 9) und schließlich den Putter kennen. Sehr ausführlich geht der Autor in diesem Kapitel auf über 30 Seiten auf den Golfschwung ein. Neben weiteren Informationen zu Schlägerköpfen, Schlägerschäften und Schlägergriffen führt der Autor zum Ende des Kapitels noch Tipps zur Golfkleidung an. Hier mag es überraschen, dass auch schon im 19. und frühen 20. Jahrhunderts eher auffällige Kleidung bevorzugt wurde: „Rote Röcke, wie sie früher Mode waren, sieht man kaum mehr. Doch bleibt es niemandem benommen, durch bunte Flanelljacken seine Farbenfreudigkeit zum Ausdruck zu bringen“. (S. 37) Diese für Golfanfänger gedachte Einführung bedarf einer Menge Geduld und wirkt auf heutige Leser schnell ermüdend. Zu Gute halten muss man Schlepegrell allerdings, dass er sich darauf versteht, seine Anleitungen anschaulich an Beispielen zu vermitteln und an mehreren Stellen des Buches seinen Humor aufblitzen lässt. Dies macht das Lesen, auch schwerer Passagen, letztlich doch zu einem Gewinn.

Besonders interessant ist das Kapitel zu den „Spielarten“. Neben dem uns heute noch bekannten Matchplay (Lochwettspiel) und dem Zählspiel (medal play) erhalten wir Einblicke in verschiedene Unterarten wie dem Dreiball, Bestball, Vierball, Punktespiel, Einheitsspiel, Auswahlspiel oder Mannschaftsspiel. Eine in heutiger Zeit selbstverständliche Geste unter Golfspielern, nämlich das Angebot, den eigenen Ball bei für den Gegner ungünstiger Lage auf dem Grün zu markieren und aufzunehmen, war in den Regeln der 20’er Jahre nicht vorgesehen. Im Gegenteil, eine solche absichtliche oder unabsichtliche Lage wurde „Stymie“ genannt und sollte den Gegner am Einputten hindern. Der Kontrahent war somit gezwungen entweder vorbei oder mit Hilfe eines „Mashies“ über den Ball in Richtung Loch zu spielen. Eine amüsante Herleitung erhielt das „Kirchhofspiel“, bei dem jede/r Spieler/in den Platz solange spielt, bis die Anzahl der PAR-Schläge des Platzes (Zahl der Schläge, die ein guter Spieler, „Scratchspieler“, für den Platz benötigt) addiert mit der eigenen Vorgabe erreicht ist. Am Punkt des letzten Balles platziert jede/r ein Holzkreuz in der Hoffnung, von allen Spielern/innen am weitesten gekommen zu sein und damit das Wettspiel zu gewinnen. Da nach der Runde auf den Bahnen so viele Kreuze zusammenstanden, nannte man das Spiel „Kirchhofspiel“ („Friedhofspiel“).

Gegen Ende des Buches wird es noch einmal formal. Schlepegrell liefert Informationen über den Ablauf von offenen Wettspielen der Klubs sowie einen ausführlichen Bericht zur Festlegung von Vorgaben durch den sog. Handikapper. Beim Lesen dieses Kapitels wird der moderne Leser unweigerlich an die Neueinführung des World Handicap Systems dieser Tage mit seinen für Außenstehende schwer nachzuvollziehenden Berechnungen erinnert: „Die Vorgabe wird von „Scratch“ aus berechnet. Hierzu wird die äußere Länge des Platzes in Metern festgestellt, wie sie für offene Zählwettspiele in Betracht kommt. Diese Zahl wird für Herren durch 234 dividiert, zu dem Resultat werden 54 hinzugezählt. Für Damen wird der Divisor 200 genommen […]“ (S. 147). Auch vor nahezu 100 Jahren war dies eine Wissenschaft für sich.

„Das Golfspiel“ endet mit einem Exkurs zur „Physik des Ballfluges“, von Dr. Karl Beck, der von 1921 bis 1924 Vorsitzender des Deutschen Golfverbandes war.

Das Buch „Das Golfspiel“ von Harry Schlepegrell ist in mehrfacher Hinsicht ein kleiner Schatz aus Zeitgeschichte, Einblicken in den Entwicklungsstand des Golfsports der 20’er Jahre und interessanten, unbekannten und teilweise skurrile Fakten. Zudem lässt sich der Text auch nach einem Jahrhundert flüssig lesen und hält auch für den heutigen Leser manches zum Schmunzeln bereit.

Originalexemplare aus dem Jahr 1923 werden auf diversen Plattformen zu Preisen von bis zu 249 Euro angeboten. Hierbei erhält man i.d.R. ein leicht vergilbtes, mit Stockflecken versehenes und im ungünstigsten Fall beschriebenes Exemplar. In besserem Zustand befinden sich repräsentative, in Leder gebundene Bände einer 1986 im Frank P. van Eck Verlag Vaduz nachgedruckten Ausgabe, die auf 100 Exemplare limitiert war. Hier kann man schon unter 100 Euro fündig werden und ein schönes Geschenk für einen passionierten Golfer mit einem Hang zur Historie erwerben!    

* Alle Abbildungen entstammen der Originalausgabe des Jahre 1923        

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